Mehr Mut zur Wut!

Mehr Mut zur Wut!

Ja, ich bin wütend. Manchmal richtig heftig. So ordentlich wütend. Und das Beste daran: es fühlt sich verdammt gut an! 50 Jahre meines Lebens habe ich sie unterdrückt, die Wut. Weil man mir eingeredet hat, das sei kein „gutes“ Gefühl. Es sei nicht richtig, wütend zu sein. Schon gar nicht als Mädchen! Auch später dann, als Frau, bekam ich immer wieder zu hören: „Jetzt sei doch nicht wütend. Reagier‘ dich lieber ab. Tobe dich aus beim Sport.“ 

 

Wechseljahre und die Wut - Das verbotene Gefühl

Also habe ich sie runter geschluckt, die aufkeimende Wut. Wut auf meine Brüder, Wut auf die Eltern, auf ungerechte Lehrer oder Vorgesetzte, auf meine Partner, oder ganz einfach die Wut, die ich empfand, wenn mir das Leben besonders ungerecht und hart erschien. So oft wurde mir gesagt, dass dieses Gefühl unangemessen sei, negativ und zerstörerisch und eh nur alles kaputt mache. Also beschloss ich, das Mädchen zu sein, das meine Eltern so gern in mir sehen wollten: angepasst, unkompliziert, der Sonnenschein. Und die Wut? Ganz tief in mir vergraben, dass sie ja nicht ausbricht. So tief vergraben, bis sie, die längste Zeit sogar von mir unbemerkt, ihre Energie gegen mich richtete. Nach außen war ich angepasst, freundlich, strahlend. Doch in mir begann sie zu wüten, die Wut. Was hätte sie auch anderes tun sollen? 50 Jahre lang habe ich sie tief in mir verbannt. Die wenigen Male, die sie raus wollte, wurde sie von mir schnell wieder hinunter geschluckt. Bis das irgendwann nicht mehr möglich war. Sie wollte raus. Und sie kam raus! Und wie! Weil ich es zuließ. Weil ich spürte, dass hier etwas in mir frei wurde, das ich als unglaubliche Kraft erlebte. Meine Wut half mir, meine Bedürfnisse zu artikulieren und Grenzen zu setzen. Etwas, womit ich mir bis dahin immer extrem schwer tat.

 Leb deine Wut aus, aber nicht mit mir!

Dass ich meinen Partner damit erst einmal irritierte, war nicht zu verhindern. Nach den ersten Ausbrüchen bemühte ich mich, meine Wut nicht destruktiv einzusetzen, sondern als wertvolle Ressource zu erkennen und zu nützen – das ist sie nämlich! Inzwischen ist meine Wut sogar sowas wie eine gute Freundin, die mich liebevoll begleitet und mich in den entscheidenden Momenten stärkt und nährt.

Dass Wut tatsächlich ganz wichtige und sehr positive Funktionen hat, erklärt die Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner in ihrem Buch „Wut. Plädoyer für ein verpöntes Gefühl“: „Wut hat viele Funktionen. Sie vermittelt klare Grenzen, setzt Warnsignale, befreit von der Spannung, die aus Kränkung entsteht, vermittelt uns selbst präzise Einsichten in unsere Schwachstellen und fordert uns auf zu Veränderung, entweder an uns selbst oder an unseren Lebensumständen, sie fordert und fördert Lebendigkeit.“

Für die Beziehung kamen meine ganz persönliche Erkenntnis und die fundierte Erklärung der Expertin dann doch zu spät. Mein Partner verabschiedete sich mit den Worten: „Ich wünsch dir viel Freude mit deiner Wut. Leb‘ sie aus, aber nicht bei mir.“ Tu ich, mein Lieber, tu ich!

 

Sind Sie auch wütend? Kennen Sie das Gefühl von Verena? Schreiben Sie uns! Wir lernen voneinander und miteinander. Für mehr Selbstbestimmtheit und mehr kraftvolle Gefühle, die uns gut tun! Euer Dr. Schreibers Team!