Das Geschenk der Vergebung

Das Geschenk der Vergebung

Was heißt es eigentlich, wirklich zu verzeihen? 

Schon als ganz kleine Kinder bekommen wir erklärt, wie das mit dem Verzeihen vermeintlich funktionieren soll. Eine/r sagt „Entschuldigung“, der/die Andere muss diese akzeptieren. Egal, ob es auch nur einer der beiden ernst meint oder nicht. Egal, ob wirklich alles geklärt ist und die Verletzungen behoben wurden.

Diese Art des Verzeihens tragen wir schließlich weiter bis ins Erwachsenenalter. Sicherlich etwas reflektierter, aber vom Grunde her ähnlich. 
Uns wird gesagt, wir werden uns besser fühlen, wenn wir anderen vergeben und, dass der erste Schritt dorthin ist, uns selbst zu vergeben. Da wir aber nie richtig gelernt haben, was es wirklich bedeutet, zu verzeihen, ist dies immer wieder ein großer Kampf und wir in einem inneren Konflikt. Oft möchte man eigentlich gar nicht verzeihen, kann es schlichtweg nicht. Schon gar nicht sich selbst.

Doch wie können wir lernen, wirklich zu verzeihen?

Zunächst einmal muss uns klar werden, dass Vergebung ein längerer Prozess ist, der nicht erzwungen werden kann. 

Wir müssen erst einmal all die Gefühle, die wir in diesem Moment empfinden, akzeptieren, denn wir können sie sicher nicht von eben auf jetzt auflösen. Wir müssen unsere Verletzung anerkennen und uns erlauben, wütend und traurig zu sein.
Dabei ist es hilfreich, sich nicht zu zwingen, gut und lieb sein zu müssen, sondern jede Gefühlsregung anzunehmen und zu akzeptieren. Wir dürfen Verachtung und den Wunsch nach Rache empfinden. Das bedeutet schließlich nicht, dass wir dem auch aktiv nachgehen müssen. Es ist wichtig, hier ach die eigene dunkle Seite zu sehen und diesen Gefühlen Raum zu geben, denn nur dann können wir auch davon loslassen und heil werden.
Natürlich sollte das in einem geschützten Rahmen stattfinden und sich nicht aktiv gegen jemanden richten.

Anerkennen des eigenen Verletzt-Seins hilft, loszulassen.

Vergebung bedeutet schließlich, anzuerkennen, dass etwas Verletzendes geschehen ist, den Schmerz wahrzunehmen und dann zu verabschieden. Den Schmerz verabschieden bedeutet nicht, dass man vergessen muss, was passiert ist, sondern, dass wir all die negativen Gefühle, die damit verbunden sind, endlich hinter uns lassen können. 

Haben wir also einmal unsere Gefühle akzeptiert und können den Groll über die Situation nach und nach loslassen, können wir auch leichter und neutraler auf die Vergangenheit und unsere Verletzungen zurückblicken. 

Nun ist es wichtig, sich zu fragen, warum einen genau diese Situation, diese bestimmte Person oder genau diese Worte so verletzt haben. Vielleicht waren wir z.B. bereits als Kind in einer ähnlichen Situation und die Verletzungen, die damals entstanden sind, werden nun wieder ans Tageslicht gebracht und dadurch verstärkt. 
Schließlich müssen wir uns fragen, was wir tun können, um diese alten Wunden jetzt zu heilen und wie wir dafür sorgen können, dass diese Situationen nicht mehr entstehen oder wir diese zumindest nicht mehr als so verletzend empfinden.

Empathie für das Gegenüber hilft, zu verzeihen.

Durch diesen Gedankenprozess wird aber auch klar, dass jeder Mensch solche Verletzungen in sich trägt und oft aus diesen heraus, aus Selbstschutz, handelt. So wird klar, dass die Verletzungen, die uns zugefügt wurden, vielleicht eigentlich gar nicht direkt gegen uns gerichtet waren, sondern aus den Verletzungen des "Täters" heraus entstanden sind. So können wir ebenso Empathie und Verständnis für unser Gegenüber entwickeln.
Das ist absolut kein leichter Schritt, aber ein wichtiger. Es hilft, zu versuchen, komplett aus der eigenen Perspektive auszutreten und zu versuchen, den Anderen mit all seinen eigenen Verletzungen und Hintergründen zu sehen. Man sollte sich aber auch nicht selbst zermartern, wenn all das nicht (auf Anhieb) funktioniert. Manchmal sind wir einfach noch nicht an einem bestimmten Punkt angelangt und müssen uns auch hier wieder genügend Zeit einräumen.

Wirkliches Vergeben kann nur dann stattfinden, wenn wir unsere Eigenverantwortung erkennen.

Verantwortung für das eigene Handeln und die eigenen Gefühle zu übernehmen, ist der wohl essentiell wichtigste Punkt auf dem Weg zur Vergebung. Nachdem wir anerkannt haben, was wir fühlen und dem genügend Raum gegeben haben, müssen wir uns entscheiden, ob wir weiter in diesem Zustand der Trauer und Wut leben wollen, uns diesen Gefühlen hingeben oder, ob wir diese loslassen. 

Diese Entscheidung zu treffen, ist ebenfalls keine leichte Aufgabe. Es mag sich sogar so anfühlen, als wären wir einer Situation einfach ausgesetzt und es mag einfacher erscheinen, sich all dem hinzugeben. 

Doch der einzige Schritt zur wirklichen Freiheit, ist, aus dieser Opferrolle aus zu brechen. Es ist wichtig zu erkennen, dass nur wir Verantwortung für uns selbst tragen und nur wir die Macht darüber haben, wie wir einer Situation gegenübertreten und darüber empfinden.

Es ist niemandem geholfen, wenn wir weiterhin von all den negativen Gefühlen bestimmt werden, am wenigsten uns selbst. Manchmal wollen wir vielleicht der Person, die diese Gefühle auslöst, zeigen, wie schlecht es uns geht, um damit ein schlechtes Gewissen zu machen. Doch meistens bewirken wir damit nur, dass es uns selbst schlechter geht. Können wir nicht loslassen, so werden wir immer weiter in dem Schmerz der Vergangenheit gehen und nicht in der Lage sein, voranzuschreiten. 

Völlig in die Eigenverantwortung zu gehen, bedeutet aber auch, dass wir von nun an bewusster durch unser Leben gehen, damit auch selbst weniger verletzen und uns vor allem leichter vergeben können.

Sich selbst verzeihen, führt zu innerem Frieden.

Können wir so auf unsere Vergangenheit blicken und unsere Eigenverantwortung erkennen, sollten wir uns ebenso fragen, was wir möglicherweise dazu beigetragen haben, dass diese Situationen entstanden sind. 
Hier geht es auf keinen Fall darum, dass man an etwas Schuld ist. Vielmehr sollte das Wort „Schuld“ gänzlich aus unseren Gedanken gestrichen und durch den Begriff der „Verantwortung“ ersetzt werden. Denn übernehmen wir Verantwortung, bedeutet das auch, dass wir in der Lage sind, selbst bewusst zu handeln und eben nicht mehr nur Opfer unserer selbst sind.

Erkennen wir die Gründe und Auslöser für unser eigenes Verhalten und sehen dadurch unser eigenes Verletzt-Sein, können wir uns schließlich selbst vergeben.